Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Fußball und Kirche
Gottesdienst am Sonntag, den 14. Juni 1998


Ein Tag vor dem ersten Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Frankreich

 

I. Einleitung


Fußball und Kirche - zwei Themen, die vielleicht für manche von Ihnen überhaupt nicht zusammen passen. Fußball, eine ganz und gar weltliche Angelegenheit, da geht es um den Kampf zwischen zwei Mannschaften, da geht es um Sieg und Niederlage, Fußball, das hat für viele eine Menge mit Götzenverehrung zu tun. Torjäger und Torhüter werden verehrt, da gehen riesige Geldsummen über den Tisch, während anderswo für die Bekämpfung von seelischen und körperlichen Nöte das Geld fehlt.
Doch andererseits läßt sich nicht leugnen, daß viele Menschen, die viel von Kirche halten, sich auch für Fußball interessieren - so wie ich. Bekannt ist, daß etliche Bundesligaprofis sich ausdrücklich zum christlichen Glauben bekennen; weniger bekannt ist, daß es z. B. in Dortmund eine Pfarrerin gibt, die eine Dauerkarte des BVB besitzt und über ihr Interesse für den runden Ball es bis zur offiziellen Fußballschiedsrichterin schaffte. Wenig bekannt ist auch, daß in Kaiserslautern in den 80er Jahren ein evangelischer Pfarrer jahrelang Präsident dieses Clubs gewesen ist. Dabei führt das Engagement für das runde Leder führt für Pfarrer auch zu Konflikten. So bekam ich in meinem Vikariat in Düsseldorf mit, das einer der Kollegen, sich zum Ärger der anderen Pfarrer in der Gemeinde weigerte, Samstags nachmittags Trauungen durchzuführen, weil er eine Dauerkarte für Fortuna Düsseldorf besaß. Und als ich in den letzten Wochen immer wieder einmal vor dienstlichen Terminabsprachen im Kalender nachschaute, ob an besagtem Termin vielleicht ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM stattfindet, erntete ich durchaus neben freundlichem Erstaunen auch manchen ungläubig fragenden Blick, ob ich das denn ernst meinte. Auf der anderen Seite habe ich es aber auch schon erlebt, daß sich kirchliche Veranstalter wunderten, warum zu gut vorbereiteten Veranstaltungen wenig Leute auftauchten, aber im Vorfeld nicht darüber nachgedacht wurde, ob es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, vorher mal zu überprüfen, ob das ein Europapokalabend sein könnte.
Fußball und Kirche - ein spannungsreiches und zugleich spannendes Verhältnis. Ich möchte mich heute in diesem Gottesdienst in drei Gedankengängen mit diesem Verhältnis beschäftigen. Da geht es zunächst
• um das Verhältnis von Fußball und Gottesdienst, dann
• um kritische Bemerkungen zum Fußball aus Sicht der Kirche, und schließlich
• um kritische Bemerkungen zur Kirche aus Sicht des Fußballs.

II. Fußball und Gottesdienst


Das es da Parallelen gibt, ist oft beschrieben worden. Einige Punkte möchte ich nennen:
• Diejenigen, die jeden oder fast jeden Sonntag in der Kirche sind, zählen zur Kerngemeinde. Ähnliches gibt es in jedem Fußballstadion. Hier wie dort gibt es die Treuesten der Treuen, hier wie dort haben sie ihre festen Plätze, die sie Woche für Woche einnehmen.
• Zum Gottesdienst wie zum Fußballspiel gehört es, die Kleiderfrage zu klären. Der Pfarrer wie die Spieler haben ihre klar definierte und erkennbare Kleidung. Aber auch die Besucher bereiten sich kleidermäßig vor. Zwar gibt immer seltener den früher üblichen Sonntagsstatt, aber in den ältesten Klamotten kommt niemand zum Gottesdienst. Etwas feiner als sonst, darf es schon sein. Das ist im Fußball etwas anders, aber die treuen Fans haben ihre Fankluft, zu der Schal, Mütze, Fahne genauso gehören können, wie die mit Symbolen bunt bestickte Jacke.
• Wann und wie es losgeht, ist beim Gottesdienst genauso eindeutig wie beim Fußball. Hier ist es das Läuten der Glocke, das Orgelvorspiel und die Begrüßung durch den Pfarrer, dort gehört das Vorstellen der Mannschaften, der Einzug der Mannschaften zur Hymne der Heimmannschaft und der Anpfiff des Schiedsrichters dazu.
• Und dann die Lieder! Im Gottesdienst gibt es feste Lieder, die dazu gehören, z. B. Gloria und Herre Gott, erbarme dich oder Christe du Lamm Gottes. So gibt es in jedem Fußballstadion feste Hymnen, die gesungen werden, des öfteren auch im Wettstreit der beiden Fangemeinden. Ein Unterschied zwischen Fuballhymnus und Kirchenlied ist allerdings, daß die Fußballfans viel schneller aus dem Augenblick heraus die Hymnen umdichten oder eine neue Strophe hinzufügen. Übrigens: einen Chorleiter gibt's im Stadion auch, die bekanntesten sind vielleicht der Mann mit der Pauke in Mönchengladbach und die Trompete (Attacke!) auf Schalke.
Ein spannendes Fußballspiel bleibt genauso lange im Gedächtnis wie ein Gottesdienst, der etwas anregt. Das Wembley-Tor und die Hand Gottes von Maradona´s werden unter Fan´s immer noch diskutiert, aber ich treffe auch Menschen, die mir nach Jahren noch von Gottesdiensten erzählen, die ihnen wichtig sind.
Diese Parallelen machen deutlich, wie wichtig Fußball für viele Menschen ist. Denn Rituale bilden sich für Menschenmengen nur in Bereichen, die ihnen wichtig sind. Und diese Rituale haben feste Abläufe und erkennbare Symbole: zum, Gottesdienst gehören Orgel und Talar, zur Hochzeit die Ringe, zur Beerdigung die Erde, die auf den Sarg fällt, und zum Fußball eben Schal, Trikot und Gesang Damit bin ich beim nächsten Abschnitt.


III. Kritisches aus Sicht der Kirche zum Fußball


• Fußball ist für viele zur Religion geworden, lautet ein häufiger Vorwurf an den Fußball. Und da ist sicher etwas dran. Dazu braucht man nur einmal auf einige Texte der Fußballhymnen zu hören: Leuchte auf mein Stern, leuchte auf, zeige mir den Weg - diese Hymne aus Dortmund könnte man ohne weiteres mit einem Kirchenlied verwechseln. Andere Beispiel: da wird vom Tempel der Glückseligkeit gesungen, da wird beteuert: wir werden niemals auseinander gehen oder auch: ich bin bei dir bis in alle Ewigkeit. Und dann gibt es die Bilder von verzweifelten und enttäuschten Fans, für die mindesten die Welt, wenn nicht mehr zusammengebrochen ist, weil der MSV das Pokalendspiel verloren hat oder die deutsche Nationalmannschaft das Endspiel der WM (was wir nicht hoffen wollen). Dann werden Fahnen verbrannt und die fröhlichen Hymnen schlagen in Spottgesänge um. Und doch sind die treusten der Treuen beim nächsten Spiel wieder dabei. Fußball als Ersatzreligion, als Lebenssinn und -inhalt - vielleicht ist das eher eine Frage an die Kirche, deshalb im Schlußabschnitt noch mehr dazu.
• Kritisch ist, daß es am Rand des Fußalls immer wieder zu Krawallen und Gewalttätigkeiten kommt. Dies ist ganz sicher ein Problem. Allerdings kann man nachfragen, ob das ein Problem des Fußballs ist oder ob sich hier angestaute Aggressionen hier ein Ventil suchen, das auch ganz woanders geöffnet werden könnte, bei sozialen Fragen, Castortransporten usw. Aber ich will das Problem nicht schmälern, es ist vorhanden, wenn ich auch manchmal den Eindruck habe, daß durch gezielte Sozialarbeit mit und Fanclubs die Zahl von gewalttätigen Ausschreitungen zumindest in Deutschland nachgelassen hat.
Traurig ist es trotzdem, denn eigentlich soll Fußball ja genau das verhindern. Brot und Spiele - so hieß schon in Rom, gebt den Menschen Brot und Spiele, dann sind sie zufrieden. Brot stillt den Hunger und Spiele stillen den Erlebnishunger. Der Satz: Brot und spiele ist zwar auch nicht ungefährlich, aber es kann auch gefragt werden, ob nicht Fußball (wie auch andere Sportereignisse) dazu führen, daß vorhandene Aggressionen sich nicht in Gewalt entladen, sondern im lauten Jubelgeschrei oder leisen Weinen im Stadion oder vor dem Fernseher.
• Übrigens: Sport gab es auch schon zu biblischer Zeit. Der olympische Gedanke ist älter als das NT. Und auch Paulus sieht durchaus Parallelen zwischen Sport und Glauben: Wißt ihr nicht, daß die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, daß ihr ihn erlangt (1. Kor. 9,24)


IV. Kritisches aus Sicht des Fußballs zur Kirche

 


• Zunächst noch einmal zur Frage, ob Fußball nicht eine Art von Ersatzreligion zumindest für einige besonders eingefleischte Fans geworden ist. Das ist ganz sicher so, aber es gibt auch den einen oder anderen passionierten Kleingärtner den im Schützenverein Aktiven, den vollständig in seinem Beruf aufgehenden Menschen, für die ihre Tätigkeit ebenso Lebensziel, Lebensinhalt und Lebenssinn darstellt wie die Fußballverehrung einiger Fans. Die Frage der Ersatzreligion stellt sich auch anderswo - und sie ist auch immer eine Anfrage an die Kirche, warum Menschen nicht Gott, sondern ganz anderen Dingen die Ehre geben, die eigentlich ihm gebührt. Und da läßt sich aus Sicht des Fußballs schon einiges kritisches zur Kirche sagen:
• Ich beginne mal mit dem Singen. Ich bin immer wieder platt, wenn ich im Stadion die gewaltigen Männerchöre singen höre. Sind die gleichen Männer in der Kirche, singen sie entweder gar nicht oder nur leise vor sich hin. Am Singen-können kann es also nicht liegen. Sicher, hier spielt mit, daß es sich in großen Gruppen leichter singen läßt, das kennen wir von großen kirchlichen Veranstaltungen ja auch. Aber trotzdem frage ich mich: singen wir in der Kirche so begeistert und engagiert wie die Fans im Stadion? Vielleicht liegt es ja auch an den Liedern, die wir in der Kirche singen, daß viele, vor allem jüngere Menschen und vor allem Männer sich mit den Texten nicht identifizieren können, weil sie zu altertümlich klingen oder sie nicht das Gefühl haben, darin vorzukommen. Sicher hat singen auch mit Gewohnheit zu tun, aber ich frage mich schon, ob wir mit unseren Gottesdiensten wirklich nahe genug am Gefühl der Menschen dran sind.
• Die nächste Frage, die ich vom Fußball her an uns Kirche habe, lautet: sind wir von unserer Sache so überzeugt und begeistert, wie die Fans im Stadion? Ist unser Einsatzwille und unsere Einsatzbereitschaft so stark? Das ist sicher eine gefährliche Frage, weil manch einer von uns sich schon genug, manchmal auch mehr als das ehrenamtlich einsetzt. Aber ich frage schon, mich selbst auch, ob wir von unserer Sache, dem Glauben so begeistert sind, daß die Begeisterung uns aus allen Knopflöchern heraus kommt? Ein Fan scheut sich nicht, laut vor aller Welt seine Überzeugung heraus zu posaunen. Und wir? Sicher, es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Bekenntnis zu einem Fußballverein und dem Bekenntnis zu Gott, völlig klar, aber ich denke auch, daß die Begeisterungsfähigkeit der Fußballfans uns für unseren eigenen Bereich zu denken geben sollte.
• Vielleicht liegt ein Grund für die Begeisterungsfähigkeit der Fans in der überschäumenden Lebenslust, die hinter der Fußballbegeisterung sichtbar wird. Die Vorfreude auf ein Spiel ist riesig, für die Anfahrt werden Kosten und Mühe nicht gescheut (sicher auch manchmal zum Ärger der restlichen Familie!), das Erleben im Stadion ist prickelnd, und die ganze Fußballbegeisterung ist (in der Regel) voller Lebenslust und Lebensfreude. Diese wird sogar im freundlichem Streit zwischen den Fans der verschiedenen Mannschaften sichtbar, ich habe es oft im Stadion so empfunden, daß sich in den gegenseitigen Schlachtgesängen auf sehr humorvolle Weise Aggressionsabbau betrieben wird (es gibt da natürlich auch Ausnahmen). Nun ist ganz sicher der Glaube nicht mit Lebensfreude und Lebenslust gleichzusetzen, Glaube hat es ja oftmals auch und zu Recht mit den Schattenseiten des Lebens zu tun. Aber wenn wir bekennen, daß unser Glauben mit der ganzen Welt zu tun hat, dann eben auch mit Lebenslust und Freude, und dann eben auch mit Sport und Sportbegeisterung. Ich denke, für die meisten Fans und Spieler steht diese Lebenslust und Freude am Sport im Vordergrund, nur eine Minderheit sieht darin den einzigen Lebenssinn. Und von der Lebensfreude, die sich im Sport ausdrückt, etwas hinein holen zu können in unsere kirchlichen Aktivitäten, daß würde ich mir wünschen, damit auch in der Kirche neben der Beschäftigung mit den schweren Seiten des Lebens, ein stärkeres Bekenntnis zu der Freude und der Lust am Leben spürbar wird. Lebenslust und -freude sind ebenfalls von Gott geschaffen wurde - für uns. In diesem Sinne wünsche ich allen Fußballfan´s eine gesegnete Fußballweltmeisterschaft - und den anderen wünsche, daß sie mit dem Humor, der die Fans oft auszeichnet, die Fußballanhänger in dieser Zeit begleiten oder auch in Ruhe lassen können.
Amen.